Kurzmeldungen
Industrielle Risiken und Versicherungsrecht

Französisches Produkthaftungsrecht : Voraussetzungen der Haftung des Zwischenhändlers für mangelhafte Produkte

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Besprochene Entscheidung: Cour de cassation, Urt. v. 21.10.2020, n° 19-18689

Eine aktuelle Entscheidung des französischen Kassationshofs bietet Anlass, sich mit einer Grundfrage des stark vom europäischen Gesetzgeber geprägten Produkthaftungsrechts zu befassen: er hat die Haftung der französischen Monsanto-Vertriebs-Gesellschaft für die Mangelhaftigkeit eines im Monsanto-Konzern hergestellten Pflanzenschutzmittels bestätigt.

Dem Urteil lag die gesundheitliche Schädigung eines Landwirtes zugrunde : dieser hatte im April 2004 bei der Reinigung einer landwirtschaftlichen Maschine den Deckel eines Tanks angehoben und war mit dem Gesicht über die Öffnung geraten. Dabei atmete er aus Versehen Dämpfe eines von ihm verwendeten Pflanzenschutzmittels ein. Er musste kurz darauf mit Vergiftungssymptomen in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Bei dem Pflanzenschutzmittel handelte es sich um das Produkt « Lasso », welches er von einer landwirtschaftlichen Kooperative erworben hatte. Diese wiederum hatte das Produkt im Juli 2002 von der französischen Vertriebsgesellschaft des belgischen Herstellers erworben, welche das Produkt bis zu seiner Rücknahme vom Markt im Jahr 2007 in Frankreich vertrieb. Der geschädigte Landwirt verklagte nun die Vertriebsfirma auf Schadensersatz für die von ihm erlittenen Gesundheitsschäden.

Anspruchsgrundlage waren die Art. 1386-1 ff., heute Art. 1245 ff. des französischen Zivilgesetzbuches (Code civil). Diese Vorschriften regeln die verschuldensunabhängige Haftung des Produktherstellers für mangelhafte Produkte in Umsetzung der Richtlinie 85/374/EWG vom 25. Juli 1985 über die Haftung für fehlerhafte Produkte. Im deutschen Recht erfolgte diese Umsetzung durch das ProdHaftG.

Das Berufungsgericht (Cour d’appel) Lyon hatte die Haftung der beklagten Vertriebsfirma sowie den Schadensersatzanspruch des Landwirts bestätigt. Die Revision hatte keinen Erfolg. Im Rahmen des Verfahrens wurden mehrere zentrale Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches gem. Art. 1245 ff. Code civil konkretisiert:

  • Zum Datum des Inverkehrbringens: gem. 1245-4 Code civilerfolgt das Inverkehrbringen eines Produktes in dem Moment, in dem der Hersteller es willentlich aus seinem Einflussbereich entlässt. Dabei kann ein Produkt nur einmal in Verkehr gebracht werden. Dies entspricht im Wesentlichen auch der deutschen Auffassung des Begriffs « Inverkehrbringen », wie er sich aus der Gesetzesbegründung und der Rechtsprechung ergibt. Im deutschen ProdHaftG selbst wird der Begriff hingegen nicht explizit definiert (zur Abgrenzung zwischen Inverkehrbringen und Bereitstellen s. den Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2016 (Blue Guide)).

Das Berufungsgericht Lyon sah den Zeitpunkt des Inverkehrbringens vorliegend mit der Lieferung des Produkts durch den frz. Händler an die landwirtschaftliche Kooperative im Juli 2002 als gegeben an. Hiergegen wehrte sich die Beklagte : sie sei nicht die Herstellerin des fraglichen Produktes ; das Entlassen des Produktes aus ihrem Herrschaftsbereich als Händlerin sei nur dann als Inverkehrbringen zu werten, wenn sie so eng mit dem wahren Hersteller verbunden sei, dass sie als « am Herstellungsprozess beteiligt » gewertet werden könne. Dafür sei nichts ersichtlich. Der Kassationshof ging indes davon aus, dass der Moment des Inverkehrbringens vom Berufungsgericht zutreffend definiert worden war ; unter Verweis auf seine frühere Rechtsprechung stellte er klar, dass ein in Serie hergestelltes Produkt mit der Vermarktung der Charge, der es angehört, in Verkehr gebracht wird.

  • Zum Begriff des Quasi-Herstellers: Die Haftung des Händlers wurde auf 1245-5 Abs. 2°-1 des Code civil gestützt. Nach dieser Vorschrift haftet nicht nur der wahre Hersteller für die Mangelhaftigkeit seines Produktes. Vielmehr haftet auch jedes andere Unternehmen, das sich als Hersteller ausgibt, indem es seinen Namen, seine Marke oder ein anderes unterscheidungskräftiges Kennzeichen auf dem Produkt anbringt. Solche Unternehmen sind dem Hersteller gleichgestellt. Im deutschen Recht ist diese Haftung des « Quasi-Herstellers » in § 4 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG geregelt.

In dem Fall des Pflanzenschutzmittels waren auf der Verpackung die Information, dass das Produkt in Belgien hergestellt worden sei sowie in Kleinbuchstaben die Hinweise « Monsanto Europe SA » und « eine Marke der Monsanto company USA » vermerkt. Das Produktetikett wies neben dem Produktnamen « Lasso » und der Produktbeschreibung noch die Hinweise « ein Pflanzenschutzmittel von Monsanto » und « Sitz Monsanto Agriculture France SAS » sowie die Adresse und die Handelsregisternummer des französischen Unternehmens auf.

Die Beklagte hatte argumentiert, dies sei für die Begründung der Haftung als Quasi-Hersteller nicht ausreichend. Aus der Zusammenstellung dieser Informationen auf der Verpackung, insbesondere der Nennung des Herstellungsortes im Ausland und der Nennung des wahren Herstellers sei es für die Öffentlichkeit ersichtlich, dass die französische Firma jedenfalls nicht der Hersteller des Produktes, sondern nur dessen Lieferant sei. Der Kassationshof stellte jedoch klar, dass sich die Vertriebsfirma durch die Nennung ihres Namens auf dem Produktetikett als Hersteller des Produktes ausgegeben hatte.

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Das Urteil zeigt , dass die französischen Gerichte die Definition des Quasi-Herstellers recht weit fassen und, insoweit nah am Gesetzeswortlaut, jegliche Nennung des Unternehmens auf der Verpackung für die Begründung von dessen Haftung genügen lassen. In der Tat ist die Haftung des Quasi-Herstellers darauf ausgelegt, Konzernsachverhalte zu erfassen, bei denen die Herstellung eines Produktes im In- oder Ausland durch die Muttergesellschaft, der Vertrieb in einem bestimmten Land jedoch durch die Tochtergesellschaft erfolgt. Die Haftung des Quasi-Herstellers dient somit dem Schutz des Verbrauchers, für den die Haftung innerhalb des Konzerns ansonsten schwer zu durchschauen wäre. Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 14. 3. 2012 − 15 U 122/10) hat hierzu entschieden, dass eine inländische Tochtergesellschaft bei Verwendung des gemeinsamen Konzernkennzeichens auf einem Produkt als Quasi-Hersteller für dessen Mangel haften könne, selbst wenn der wahre Hersteller die ausländische Konzernmutter sei. Dies gelte jedoch nicht, wenn in der Gebrauchsanweisung ausdrücklich die Muttergesellschaft als Hersteller genannt sei.

Ob der französische Kassationshof eine solche Klarstellung in der Gebrauchsanweisung ebenfalls anerkannt hätte, ist in Anbetracht der eher kurzen Urteilsbegründung in diesem Punkt nicht ersichtlich.

In jedem Fall ist Industrieunternehmen zu empfehlen, auf der Produktverpackung den Hersteller klar zu benennen, um etwaige Haftungsrisiken kalkulierbar und beherrschbar zu machen. Zumal die Versicherungssummen für die Vertriebs- und für die Herstellerfirma sehr unterschiedlich sein können, was im Falle der Inanspruchnahme der Tochter zu Deckungslücken führen kann.

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  • Weitere Streitpunkte in diesem Verfahren waren die Natur des Produktfehlers, welchen die Gerichte in mangelhaften Sicherheitshinweisen auf der Packung erkannten, der Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Mangel und Schaden sowie die Frage nach der Haftungsreduzierung infolge des Mitverschuldens des Opfers.