Das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 2. Juli 2019
- KurzmeldungenAm 29. August 2022 ratifizierten die EU und die Ukraine das von der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht ausgearbeitete Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 2. Juli 2019 (HAVÜ). Da dieses nunmehr zwei Mitgliedstaaten hat, kann es nach Art. 28 Abs. 1 HAVÜ am 1. September 2023 in Kraft treten. Nach dem Haager Übereinkommen über die Wahl des Gerichtsstands aus dem Jahr 2005 betrifft dieses Übereinkommen nun die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen.
Die Grundidee des HAVÜ, die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile zu erleichtern, hat die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht fast ein halbes Jahrhundert lang beschäftigt und findet in Europa Vorbilder in dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) und den Brüssel I und Ia-Verordnungen sowie den Luganer Übereinkommen.
Bereits am 1. Februar 1971 war eine gleichnamige Vorgängerversion des heutigen HAVÜ, die Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, beschlossen worden, die aber mit nur fünf Mitgliedstaaten (Albanien, Zypern, Kuwait, den Niederlanden und Portugal) international auf wenig Resonanz stieß.
Auf Initiative der USA wurden daher 1992 Neuverhandlungen über das Übereinkommen aufgenommen, das am 2. Juli 2019 verabschiedet wurde. Bislang wurde das Übereinkommen von Costa Rica, der EU, Israel, der Russischen Föderation, der Ukraine, den Vereinigten Staaten von Amerika und von Uruguay gezeichnet und am 29. August 2022 von der EU und der Ukraine zeitgleich ratifiziert, womit es letztlich in Kraft treten kann. Mit der Ratifizierung durch die EU wird das Übereinkommen Wirkung gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) entfalten. Das HAVÜ berührt insbesondere die Brüssel Ia-Verordnung, die unter anderem auch die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen zwischen EU-Mitgliedstaaten regelt.
Im nationalen Recht richten sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Deutschland nach §§ 328, 722 ff. ZPO. Nach deutschem Zivilprozessrecht wird jede ausländische Entscheidung anerkannt, soweit nicht Versagungsgründe entgegenstehen (§ 328 ZPO); für die Vollstreckbarkeit ist jedoch ein gesondertes deutsches Vollstreckungsurteil erforderlich (§ 722 ZPO), das dann als Vollstreckungstitel dient. Dieses Vollstreckungsurteil setzt voraus, dass die ausländische Entscheidung rechtskräftig ist und die Anerkennung nicht ausgeschlossen ist (§ 723 Abs. 2 ZPO). Außerdem muss die Entscheidung hinreichend bestimmt, im Ursprungsland vollstreckbar sein und es dürfen keine materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Anspruch bestehen, die erst nach dem Ursprungsverfahren entstanden sind.
Im französischen Recht ist die Anerkennung und Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung nach der Rechtsprechung der Cour de Cassation (Cass. civ. 1ere, 7. Januar 1964, Munzer; Cass. civ. 1ère, 20. Februar 2007, Nr. 05-14.082, Cornelissen) im Wesentlichen an drei Voraussetzungen geknüpft: Das ausländische Gericht muss international zuständig gewesen sein, die Entscheidung darf weder gegen den materiellen noch gegen den prozessualen ordre public international verstoßen und schließlich darf keine Gesetzesumgehung vorliegen. Die Vollstreckbarkeit setzt, wie im deutschen Recht, eine gerichtliche Prüfung dieser Voraussetzungen voraus (exequatur), ohne dass das Gericht die ausländische Entscheidung abändern darf (Cass. civ., 19. April 1819, Parker).
Die Brüssel Ia-Verordnung (innerhalb der EU mit Ausnahme Dänemarks) erleichtert die Anerkennung und Vollstreckung in den EU-Mitgliedstaaten. Die Anerkennung von Entscheidungen aus anderen EU-Staaten erfolgt grundsätzlich ipso iure (Art. 36 Abs. 1). Ebenso bedarf eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung keiner Vollstreckbarerklärung, um in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar zu sein (Art. 39).
Nach dem Lugano-Übereinkommen von 2007 (EU, Schweiz, Norwegen und Island) erfolgt die Anerkennung von Entscheidungen zwischen den Vertragsstaaten grundsätzlich ipso iure (Art. 33 Abs. 1 LugÜ), die Vollstreckung setzt jedoch ein Vollstreckbarerklärungsverfahren voraus (Art. 38 Abs. 1 LugÜ).
Mit dem HAVÜ tritt neben die nach nationalem, nach EU-Recht und nach dem Lugano-System vollstreckbaren Urteile eine vierte Kategorie von Urteilen aus Vertragsstaaten des HAVÜ. Deren Anerkennung ist an ihre Wirksamkeit und die Vollstreckung an die Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat geknüpft (Art. 4 Abs. 3 HAVÜ). Kann die Entscheidung im Ursprungsstaat noch angefochten werden, so kann die Anerkennung und Vollstreckung aufgeschoben oder versagt werden (Art. 4 Abs. 4 HAVÜ). Während die Anerkennung damit bei Vorliegen der Voraussetzungen ipso iure erfolgt, ist wie im Lugano-Übereinkommen aber ein Vollstreckbarerklärungsverfahren erforderlich.
Das Urteil muss anerkennungs- und vollstreckungsfähig sein, was sich nach Art. 5 HAVÜ bestimmt. Bestimmte Schriftstücke sind vorzulegen, insbesondere eine vollständige und beglaubigte Abschrift der Entscheidung (Art. 12 HAVÜ). Das Gericht des ersuchten Staates darf die Entscheidung nicht in der Sache selbst nachprüfen (Art. 4 Abs. 2 S. 1 HAVÜ) und muss „zügig“ handeln (Art. 13 Abs. 1 S. 2 HAVÜ). Ferner darf es die Anerkennung oder Vollstreckung nicht deshalb versagen, weil sie in einem anderen Staat geltend zu machen wäre (forum non conveniens, Art. 13 Abs. 2 HAVÜ).
Die Anerkennung und Vollstreckung kann nach Art. 7 HAVÜ jedoch versagt werden, z.B. wegen Verstoßes gegen den ordre public, wegen arglistiger Täuschung oder wegen fehlerhafter Zustellung verfahrensrelevanter Schriftstücke an den Vollstreckungsgegener. Die Position des Europäischen Rates dazu ist klar: In seinem Beschluss vom 2. Dezember 2021 über den Beitritt der Europäischen Union zum Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen betont der Rat, dass die Anerkennung und Vollstreckung von in Drittstaaten ergangenen Entscheidungen in der Union nur dann zuzulassen sei, wenn die Grundprinzipien des Unionsrechts geachtet werden.
Das HAVÜ steht allen Staaten zum Beitritt offen (Art. 24 Abs. 3 HAVÜ). Ein Jahr nach der Ratifikation tritt dann das Übereinkommen auch für diesen Staat in Kraft (Art. 28 Abs. 2 lit. a, 29 Abs. 2 HAVÜ). Damit ist die einzige Voraussetzung neben der Qualität als Staat eine technische, nämlich die Ratifikation. Die Anforderungen an den Beitritt sind niedrig. Die Rechtsstaatlichkeit ist keine Beitrittsvoraussetzung.
Die Erwartung an eine Ratifikation richtet sich vor allem an die Vereinigten Staaten von Amerika, die das HAVÜ am 2. März 2022 unterzeichnet haben. Da in den USA die Anerkennung ausländischer Entscheidungen Sache der Bundesstaaten ist, bestehen dort aktuell drei verschiedene Systeme der Anerkennung ausländischer Entscheidungen. Ein von einem US-Gericht nach den Regeln des jeweiligen Bundesstaates anerkanntes ausländisches Urteil entfaltet jedoch aufgrund der Full Faith and Credit Clause aus Art. 5 Abs. 1 der US-Verfassung grundsätzlich in allen Bundesstaaten volle Wirkung. Die Ratifikation des HAVÜ könnte daher ein unnötig kompliziertes System vereinheitlichen und damit den Zugang für ausländische Gläubiger erleichtern.
Auch für das Vereinigten Königreich könnte das HAVÜ nach dem Brexit ein Schritt zur Wiederannäherung sein, da britische Entscheidungen derzeit nicht mehr von den erleichterten Voraussetzung einer Anerkennung und Vollstreckung nach der Brüssel-Ia-Verordnung und dem Lugano-Übereinkommen profitieren und die EU-Kommission den Beitritt des Vereinigten Königreichs zum Lugano-Übereinkommen abgelehnt hat.